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Ratgeber

Musik und MusikÜber den Nutzwert von (gutem) MusikunterrichtBeate-M. Dapper Warum ist Musikhören manchmal nur ein Konsumfaktor wie der (übermäßige) Verzehr von Süßigkeiten? Warum kann Musik auf der anderen Seite die Persönlichkeitsentwicklung eines (kleinen und auch großen) Menschen unterstützen? Und wieso kann der Unterschied so groß sein wie zwischen einem fertigen Gericht und dem Wissen um dessen Bestandteile, Herkunft und Wirkung?  Es ist es schön, favorisierte Musik zu hören, sich von ihr mitreißen und berauschen zu lassen, aber etwas völlig anderes als die bewusste Beschäftigung mit ihr und ihren (vielleicht noch verborgenen) Geheimnissen.   Tim, drei Jahre alt, beobachtet höchst interessiert, wie ein Mann an der Brottheke beim Bäcker aus einem hinteren Raum kommt und der Verkäuferin mit freundlichem Gesicht und stahlharter Stimme sagt, sie solle die Brötchen aus dem Ofen holen. – Den „Ton“ kennt Tim, wenn Mama zu Papa sagt: „Kannst du BITTE (endlich mal) deinen Teller in die Spülmaschine stellen!?“ – Tim probiert das Verhalten natürlich sofort aus und weist mit Nachdruck auf ein Spielzeug hin, das er unbedingt haben möchte.   In den ersten Jahren speichern wir eine Vielzahl an Verhaltensweisen, Wörtern, Tönen, Gesten (…), die zunächst als (eigene oder auch fremde) Erfahrung in unserem Kopf bleiben, vor allem, wenn wir ihnen einen emotionalen Wert geben. Kinder (und übrigens auch Erwachsene) imitieren alles, was sie für nützlich oder erstrebenswert halten, testen immer wieder, ob ihnen das Ergebnis gefällt und entwickeln im Laufe der Zeit eine Art Baukasten funktionierender Handlungsstrategien.  Die Frage nach dem Warum stellt sich erst, wenn ein Verhalten von anderen Menschen als unpassend gewertet wird.  Probieren Sie es einmal aus und sprechen Sie den folgenden Satz zunächst aus dem Bauch heraus und ergänzen ihn:   	1.	„Ich habe dir schon hundertmal gesagt, dass …!“ – Spielen Sie jetzt mit ihm und sprechen ihn leise, laut, mit starker Betonung, mit verschiedenen Melodieverläufen. Wie wirkt der Satz wann? Und klingt er vielleicht so, wie von einer Person, die in Ihrem Leben eine große Rolle spielt? 	2.	Im nächsten Schritt stellen Sie sich vor, Ihr Gegenüber verwickelt sie nun in eine Diskussion, die Sie gar nicht haben wollten. Schließlich sagen Sie genervt, kraftlos und mit drohendem Unterton: „Hör jetzt auf!“ – Sprechen Sie diesen Satz leise oder laut, bleiben Sie auf ein und derselben Tonhöhe (z. B. im Rhythmus von Queen’s „We will rock you“) und probieren Sie ihn mit den ersten drei Tönen der Melodie „Alle Vögel sind schon da“.  	3.	Doch ihr Gegenüber hört nicht auf. Es brodelt in Ihnen, es kribbelt in Ihrem Kopf und ein dumpfes, brummendes Gefühl in Ihnen lässt ein gefährliches Gewitter aufziehen. Bevor es zu einem „Knall“ kommt, setzen Sie mit bewusst tiefer Stimme die wie Gewehrschüsse klingenden Worte „Jetzt – ist – Schluss!“ hinter die kleine Gesprächssinfonie des Alltags.   Um Botschaften wie diese noch wirkungsvoller zu gestalten, gesellen sich natürlich nonverbale Mittel aus einem bis dahin erworbenen Schatz an Gestik, also Körperhaltungen wie wedelnde Arme, breitbeiniger Stand usw., und Mimik (böser Blick, ein Lächeln, hochgezogene Augenbrauen, verzogener Mund usw.) dazu.   Die bewusste Beschäftigung mit Musik, aber auch Kunst, Tanz, Theater usw., kann eine große Hilfe bei der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und beim Verstehen alltäglicher Zusammenhänge sein, sofern sie sich nicht nur auf den (vorgefertigten) Ausdruck beschränkt. Es dürfte einleuchten, dass es nicht nur wichtig, sondern lebensnotwendig ist, Kinder mit möglichst vielfältigen sprachlichen, musikalischen und nonverbalen Mitteln (bewusst) vertraut zu machen, damit sie die emotionalen Wirkungen und Auswirkungen von eigenen und beobachteten Erfahrungen verstehen können.   Ein schönes und nützliches Ziel für den Musikunterricht, oder?   Kleiner fiktiver, aber möglicher Zusatz Stellen Sie sich nun vor, diese oben beschriebene Szene fände mit einem Kind statt, das, wie sich später herausstellt, mit SEINER Ansicht recht hatte und diese (für ihn sehr bedeutsame) Erfahrung mit der Aussichtslosigkeit auf Anerkennung und einer gewissen Ohnmacht abgespeichert hat. Ein paar Jahre später zeigt sich eine erhöhte Ängstlichkeit vor Hunden, die sich durch nichts Rationales erklären lässt.   Im Hintergrund ist – völlig ungeplant und nur unterbewusst wahrgenommen – das Geräusch eines Müllwagens zu hören, der gerade draußen auf der Straße die Tonnen leert. Oder auch das Brummen der Mikrowelle, ein schreiendes Kind aus dem Nachbarhaus, ein laut bellender Hund auf der Straße.  All das wird zusammen mit der beschriebenen Erfahrung (und deren Einzelelementen) emotional im Gehirn des Hörenden gespeichert. Nun entstehen zusammen mit ihr vielleicht Muster, die nach beliebig vielen und individuell „notwendigen“ Wiederholung zu eigenen (Sprach- und Handlungs-)Mustern werden.     Hier bekommen Sie einen kleinen Einblick, was das reine Musikhören von elementaren Musikerfahrungen unterscheidet.     Beate-M. Dapper, langjährige Redakteurin, Autorin und Herausgeberin in unterschiedlichen Medienbereichen. Mit ihrer praktischen Erfahrung als musikpädagogische Kraft hat sie sich auf Bildungs- und Sachmedien mit den Zielgruppen Kindergarten, Grundschule und Kinderzimmer spezialisiert.    cc Made with MAGIX Impressum

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